Das Dabar ’Elohims oder das Logos Gottes?

Eine der wichtigsten Grundlagen, die Bedeutung von Wörtern zu verstehen, ist die Geschichte des Volkes zu studieren, das diese Wörter geprägt und benutzt hat. Man ist sich generell einig, daß der Tenach auf Hebräisch geschrieben wurde. Man ist sich auch so gut wie einig, daß der Tenach sehr „jüdisch“ ist und voll von typisch hebräischen Begrifflichkeiten, Idiomen und Redewendungen. Die Verfasser des Tenach sprachen, lehrten und dachten hebräisch. Bis zur Zeit des Neuen Testaments bestand das Wort ‘Elohims nur aus allem, was Er gesprochen hatte. Alle Gedanken in der Schrift waren aus der Sicht der hebräischen Sprache niedergeschrieben worden. Aber schon etliche Jahrhunderte, ehe ‘Elohim als Mensch auf die Erde kam, hatte die Welt dramatische Veränderungen an Sprache und Kultur erfahren. Hinter den Kulissen braute sich die griechische Weltanschauung zusammen mit allem, was dazu gehörte.

In unserem Buch „Let this Mind be in You“ (ins Deutsche übersetzt unter dem Titel „Diese Gesinnung aber sei in Euch“; A.d.Ü.) untersuche ich detailliert den dramatischen Unterschied zwischen der griechischen und der hebräischen Denkweise. Hier sei nur bemerkt, daß beide Weltanschauungen in den meisten Fällen einander ausschließen. Das läßt sich nirgends besser verdeutlichen, als bei der Definition einzelner Wörter. In der vorherigen Lektion haben wir das Wort „Wort“ aus dem Tenach definiert. Jetzt wollen wir sehen, wie dieses Wort einen Bedeutungswandel von den Gedanken und Weisungen ‘Elohims hin zu dem Logos gemacht hat. Zunächst möchte ich aber aus älteren Werken zitieren, die sich mit dieser schleichenden Evolution biblischer Wörter befassen.

Edwin Hatch lebte im 19. Jhdt. und ist bekannt und hoch angesehen für eine Vielzahl von griechischen Werken. Sein vielleicht größtes ist die Konkordanz zur Septuaginta. Hier sind einige Auszüge aus seinem Buch „The Influence of Greek Ideas and Usages Upon the Christian Church“, 1895; Williams and Norgate („Der Einfluß griechischer Ideen und Gebräuche auf die christliche Kirche“; eine dt. Übersetzung v. Erwin Preußen [1985] existiert; die folgenden Auszüge sind frei übersetzt; A.d.Ü.).

„In gleicher Weise sehen wir, daß das griechische Christentum des vierten Jahrhunderts seine Wurzeln im Hellenismus hatte. Das griechische Gedankengut, das innerhalb des christlichen Glaubens heranreifte, hatte neue Ideen und Motive absorbiert.“

„Wir haben eine Vielzahl historischer Schriften zu dem Stand griechischen Gedankenguts in der Zeit vor dem Konzil von Nicäa. Hier scheinen die Schreiber mit einem schwachen, blassen Licht, wenn wir sie neben die geisterfüllten Meister der attischen Epoche stellen.“>

„Wir haben auch eine Vielzahl historischer Schriften über das christliche Gedankengut in der Zeit nach Nicäa. Die Kirchenväter Athanasius, Basilius, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa und Cyrill von Jerusalem, Erlasse übergeordneter und örtlicher Konzile, sowie apokryphische und pseudonyme Literatur geben uns einen recht guten Einblick in die Sinnveränderungen, die der griechische Einfluß mit sich gebracht hatte.“

„Die Erziehung lag nicht mehr in den Händen ‘privater Tutoren’ in den Häusern der angesehenen Familien. Sie war Aufgabe der Öffentlichkeit geworden und hinterließ dort ihre Spuren.“

„Bevor aber das Vermächtnis einer Generation seine Zweige weit in die folgenden Generationen hinein ausbreiten kann, müssen die Wurzeln tief und fest verankert sein in der Generation, von der die Zweige ausgehen. Kein bleibendes Element einer Zivilisation entsteht an der Oberfläche. Die griechische Erziehung hat sich als fast genauso hartnäckig erwiesen wie der christliche Glaube, und das aus ähnlichen Gründen. Beide fanden ihren Weg von Griechenland nach Afrika und in den Westen. Zunächst faßten sie Fuß in der Bevölkerung des römischen Reiches und von dort aus bei den Kelten und Teutonen Galliens. Aus den Erziehungsstätten Galliens gelangten sie schließlich - wahrscheinlich durch direkte Überlieferung – bis in unser Land und in unsere Zeit.“

Dieser Prozeß, durch den die gesamte damals bekannte Welt mit der griechischen Weltanschauung durchdrungen wurde, dauerte mehrere Jahrhunderte; aber der Paradigmenwandel hatte in der Tat Wurzeln geschlagen und hat uns bis heute nicht verlassen. Vor diesem Hintergrund nun wollen wir im Folgenden die ursprüngliche Bedeutung eines einfachen Wortes aus unserer Schrift wieder neu entdecken.

Es handelt sich um das Wort „Wort“. Wenn wir es in unserem Neuen Testament lesen, ist es in den meisten Fällen eine Übersetzung des griechischen Wortes „logos“, dessen grundlegende Bedeutung fast identisch ist mit der des entsprechenden hebräischen Wortes „dabar“. Es bezeichnet einen Gedanken, benennt einen Gegenstand, ist etwas, das gesagt wurde, eine Äußerung. So steht es jedenfalls im Lexikon. Allerdings war die allgemein verstandene Bedeutung in den Jahrhunderten vor und auch nach Yeschua eine ganz andere. Bei den religiösen Griechen zu jener Zeit nämlich war der Logos der „Gott aller Götter“, die personifizierte Seele aller Götter. Es oder er war das „ultimative Wissen“, auch als Gnosis bekannt. Er stand für den einzig wahren Gedanken, den einzig wahren Geist und Sinn und das einzig wahre Bekenntnis. Mit anderen Worten, der Logos bestimmte, was der wahre Glaube war. Wissen bedeutete Erlösung: das Richtige sagen und in richtiger Weise glauben. Und so haben wir die ganz raffinierte Verschiebung von der Person Yeschuas, „der Fleischwerdung der Ordnungen ‘Elohims“ (dem dabar ‘Elohims) hin zu dem göttlich inspirierten „Wissen des Gottes aller Götter“. Die Erlösung wurde damit zu einer intellektuellen Aufgabe, deren Erfolgsbeweis aus strukturierten Glaubensbekenntnissen bestand. Edwin Hatch hat auch das treffender ausgedrückt:

„ ... das Wort Glaube wandelte seine Bedeutung von einem schlichten Gottvertrauen hin zu einer Einwilligung in eine Serie von Lehrsätzen, ... Lehrsätze aus der abstrakten Metaphysik ... Es folgt die Prämisse: An Gott zu glauben, bedeutete nun gewisse Lehrsätze ÜBER Gott für sich anzunehmen.“

Theophilos stellt fest, daß das griechische logos zwei unterschiedliche Aspekte hat: der Gedanke und das Sprechen. So wurden aus den Unterweisungen ‘Elohims im Tenach, wie Ehe, Regierung, Kinder, mitmenschliche Beziehungen betreffend, sowie Krankheiten, geeignete und ungeeignete Speisen, Umgang mit Kriminalität, Abfallentsorgung, Gesundheit, Finanzen und Liebe ein System von Glaubensbekenntnissen. Die WORTE ‘ELOHIMs entwickelten sich bald zu einem abstrakten, undefinierbaren Konzept, das man sich zu eigen machen konnte, indem man das Richtige sagte, ohne das Richtige tun zu müssen. Die Juden des frühen Mittelalters kannten dieses Konzept sehr wohl. Wenn sie von den Kreuzrittern ins Verhör genommen wurden, sagten viele von ihnen, daß sie glaubten, „Jesus“ sei „der Erlöser“, woraufhin man sie gehen ließ. Die meisten dieser bekennenden Juden kehrten dann in ihre Untergrund-Synagoge zurück, wußten sie doch, daß ein gesprochenes Bekenntnis als Beweis für den christlichen Glauben ausreichte.

Das Ganze wäre nicht so kritisch, wenn die Worte ‘Elohims kraftlos und ineffektiv wären. In dem Buch Yesha’yahu (Jesaja) Kapitel 14 heißt es über haSatan: „Ist das der Mann, der die Erde erzittern ließ,
 der Königreiche erschütterte; der den Erdkreis zur Wüste machte 
und seine Städte niederriß;
 der seine Gefangenen nicht nach Hause entließ?” Wundert es uns noch, daß es für haSatan nicht schwer war, ‘Elohims Wort kraftlos zu machen, das doch dazu bestimmt war, uns in ein Land zu führen, in dem Milch und Honig fließen, mit Städten, die gedeihen und in dem Gefangene frei gesetzt würden, wenn er nur eine neue Religion ohne Thora (ohne Gesetze) in die Welt zu setzen brauchte? Ist es wirklich nur Zufall, daß der Teufel in dem 2. Brief an die Thessalonicher (2,8) „der Gesetzlose“ genannt wird? Wenn Du die Worte ‘Elohims auf ihre ursprüngliche Bedeutung zurückführst, dann definierst Du das Leben für Dich neu mit allem, was es beinhaltet.

Wir werden in den folgenden Lektionen viele Wörter identifizieren, denen über die letzten 2000 Jahre nach und nach eine neue Bedeutung gegeben wurde. Über viele der Paradigmenwechsel wirst Du erstaunt sein. Aber noch wichtiger: sie werden Dir eine neue Perspektive für ‘Elohims wunderbares Wort geben. Sein Dabar, das Fleisch wurde, schenkt WAHRHAFTIG LEBEN! Also nächstes Mal: Das Licht und Der Weg.

Schalom Alechem!